Ein Leineweber konnte sich wohl rühmen, von gar vornehmem und uraltem Geschlecht des Handwerks zu sein. In der Geschichte aller Völker, die zu einem Kulturzustand übergingen, hat immer das Linnen und damit die Faser der Pflanze, aus der es gewonnen wird, eine große Rolle gespielt. Die erste Hausindustrie auf Erden war das Weben; der erste Luxus, der unter den Völkern entstand, war die Kleidung aus Linnen; der erste Aufschwung des Handels über das Meer von Volk zu Volk geschah durch die Leinwand, welche den Schiffen Segel gab und durch den Hanf, der die Taue lieferte.
Das Dunkel des Altertums hüllt undurchdringlich die Spinnstuben der Frauen ein, denn alle Überlieferungen sprechen davon, dass sie es waren, welche die erste Leinenweberei getrieben, und sie sind bis zur neuesten Zeit in den Dörfern, ja in manchen kleinstädtischen Häusern noch dieser Beschäftigung treu geblieben. Aus den Inschriften der alten Ägypter ist zu berechnen, dass schon 2000 Jahre vor unserer Zeitrechnung die Anfertigung leinener Gewebe zu hoher Vollendung gekommen war. Ihre tausendjährigen Bilder lassen auch erkennen, dass das Leinenweben damals in ganz derselben Art und mit den einfachen Hilfsmitteln betrieben wurde, wie bei den Landleuten der neuesten Zeiten.
Ihre Mumien finden wir vom Flachsgespinst umhüllt; in allen alten Geschichtsschreibern, sowie in den Dichtungen des Homer und anderer des fernsten Altertums, wird das Linnen erwähnt, das Weben desselben gefeiert. Die Priesterbekleidung war fast allgemein aus dem Flachs gewonnen, bei Ägyptern und Hebräern, bei Indern und Persern, bei Babylonier und Griechen, und die Tracht der Vornehmen, der Krieger, der Frauen, entfaltete in der blendenden Weiße dieses Stoffes die ersten Anzeichen der menschlichen Eitelkeit, zu gefallen. Auch im alten Germanien war das der Fall. In nichts, erzählt Tacitus von deren Bewohnern, unterschied sich die Tracht der Weiber von derjenigen der Männer. Nur hüllten sich jene öfter in leinene Gewänder, die sie mit Purpurstreifen verbrämten, wobei sie den oberen Teil des Kleides aber nicht zu Ärmeln verlängerten. Arme und Schultern blieben vielmehr nackt, ebenso ein Teil der Brust.
Eine so weitverbreitete häusliche Beschäftigung unter den Völkern musste notwendig durch eine poetische Auffassung derselben verklärt werden und ihrer beschaulichen Art entsprechend zu sonnigen Phantasien und Betrachtungen Anlass geben. So webten die Griechen in ihre Mythologie das schöne Bild von den 3 Parzen Clotho, Lachesis und Atropos, Schicksalsgöttinnen, deren eine den Rocken hält und spinnt, deren zweite den Faden aufwickelt und deren dritte ihn abschneidet. Das Bild vom Lebensfaden ist seit den ältesten Zeiten der Sprache und Vorstellung aller Kulturvölker eigen.
Ein deutscher Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts (Anm.: 18. Jahrhundert) sagt: „Die Nutzbarkeit des Leinenhandwerks ist in Wahrheit eines der nötigsten und nützlichsten und die Arbeit dieser Weber das Erste, so uns, sobald wir das Licht der Welt erblicken, begrüßte, nämlich die Windel; wie auch das Letzte, so uns zum Abschied von allem Reichtum, den wir hinterlassen, aus der Welt mitgegeben wird, nämlich ein Leilach“. Und Adalbert Stifter drückt einen ganz ähnlichen Gedanken aus, indem er schreibt: „Die Flachspflanze ist ein Freund des Menschen, diese Pflanze hat die Menschen lieb. Ich weiß es jetzt, dass es so ist. Zuerst hat sie die schöne Blüte auf grünen Säulchen, dann, wenn sie tot wird und durch die Luft und das Wasser zubereitet wird, gibt sie uns die weichen silbergrauen Fasern, aus denen die Menschen Gewebe machen, welches ihre eigentliche Wohnung ist, von der Wiege bis zum Grabe. Wie nur so wunderbar diese Pflanze zu dem lichten, weißen Schnee zu bleichen ist ! …Je größere Berge dieses Schnees man einer Braut mitgeben kann, desto reicher ist sie. Wenn wir tot sind, hüllen sie die weißen Tücher um uns.“
In hohen Ehren stand denn auch das Weben des Linnens, seit Alters her bei den Frauen. Vom Rocken spannen sie ihres Glückes Fädchen, ihrer Tugend und ihrer Liebe Stolz. „Schande jedem Weibe, dem die Spindel fehlt!“ heißt es in einem chinesischen Liede, und dem entsprach die Auffassung bei Griechen, Römern, Germanen und fast allen Völkern der Kultur.
Penelope ist gefeiert in dem Weben des Leichentuches von Laërtes. Helena fertigte ein großes Gewand in ihrer Kammer, durchwirkt mit mancherlei Kampfszenen; Hektor rät seiner Gemahlin, „Spindel und Webstuhl zu besorgen; für den Krieg liegt den Männern die Sorg‘ ob“. Die Töchter des Augustus mussten die Kleider weben, die er trug. Ovid und Virgil verherrlichten das Weib, das mit Gesang sich die Arbeit verkürzt, „rasch des Gewebes Aufzug durchschießt mit dem sausenden Kamme“. Den deutschen Frauen wurde von den ältesten wie jüngeren Dichtern ihrer Heimat nicht minder Preis für diese häusliche Beschäftigung erteilt. Brunhilde und Kriemhilde fertigten der Männer Prachtgewand; die Ritterfrauen saßen gern im Frauengemach an der Spindel, die Mägde auf dem Lande versammelten sich in der allgemeinen Spinnstube, wo gesungen und gescherzt wurde, indes die Rädchen schnurrten. Die Spinnräder waren über dem eine durchaus urdeutsche Erfindung. Frauenarbeit war und ist ja auch noch bis heute geblieben, was mit der Pflege und weiteren Behandlung der fertigen Leinwand zusammenhängt: das Bleichen, das Waschen, das Bügeln, das Nähen.
Jahrtausendelang veränderte sich beinahe nichts an den einfachen Hilfsmitteln, mit denen aus dem Flachsfaden das Linnen, grob oder fein, gefertigt wurde. Wohl aber ging diese Beschäftigung aus den Händen der Frauen, die nicht allen Bedarf zu decken vermochten, mehr und mehr auch auf die Sklaven über. Die Freigelassenen machten dann, wie mit anderen Dienstleistungen, gegen Bezahlung ein Handwerk daraus.
Es entstanden unter dem Schutz der Ritterburgen die Ansiedlungen der Handwerker, die damit Bürger von Städten wurden. Die einzelnen Gewerke einigten sich darauf zu geschlossenen Zünften mit bestimmten Gesetzen und verbrieften Rechten. Wie aus dem Hinweis auf die Wichtigkeit des Linnenwebens für das menschliche Bedürfnis zu schließen, waren die Leineweberzünfte nicht die geringsten; ja, in manchen deutschen Städten, die durch ihre Linnenwebereien und den Handel damit, wie er sich im Mittelalter entwickelte, sich hervortaten, standen sie mit im ersten Rang der bürgerlichen Ordnung. Wegen ihrer tapferen Beteiligung an der Schlacht auf dem Lechfelde gegen die Ungarn (955) hatten sie zudem Mitrecht an dem Stadtregement erhalten. Dies war in dem alten Augsburg der Fall. Wie sich in Deutschland durch Karl den Großen, den eigentlichen Schöpfer der mittelalterlichen Handwerksschulen, die Leinenverfertigung auf einen so hohen Grad der Vollkommenheit gehoben hatte, dass diese Ware aus verschiedenen Mönchsklostern und dann aus einzelnen Städten weltweit in die Welt versandt wurde, so waren darunter im 14. Jahrhundert Regensburg und Augsburg die berühmtesten.
Alles Handwerk, kann man sagen, hatte im alten Augsburg einen goldenen Boden. Die Weberei des Linnens brachte der Stadt mit die bedeutendsten Einkünfte unter den in ihr betriebenen Gewerben, und die Rangstelle der Weber war daher auch dicht hinter den Kaufleuten. Als Hans Fugger mit dem Entschluß, sich in dieser Stadt niederzulassen, bei einem bürgerlichen und zünftigen Webermeister daselbst in Arbeit trat, war er ein für seine Zeit vielgereister Mann, der mit scharfem Blick über das Handwerk hinaus die Beziehungen desselben mit dem großen Karkt des Lebens erkannt hatte. Er besaß, wie die Folge lehrte, einen feinen geschäftlichen Blick, einen spekulativen Geist, und fasste sein Gewerbe zugleich von der praktisch kaufmännischen Seite auf.
Für die Leinewand war eben eine neue Zeit aufgegangen. War sie seither wesentlich doch nur der Stoff für luxuriöse Kleidung und Dinge gewesen, so hatte die Entstehung eines städtischen Bürgertums, dessen Vermehrung an Zahl und Verfeinerung in Sitten und Ansprüchen ihr mehr und mehr die Bedeutung eines Bedürfnisartikels verschafft. Vorzugsweise fertigte man von ihr Hemden und Unterkleider; aber dieselben waren so teuer, dass nur die Vornehmen einen größeren Vorrat davon besaßen und es zum Beispiel, wenn etwas Außerordentliches an Reichtum, wie Luxus galt, wenn damals – im 14. Jahrhundert, – eine königliche Prinzessin ein paar Dutzend Hemden zur Aussteuer erhielt. Noch im folgenden Jahrhundert war dies der Fall. Ebenso waren Bett- und Tafeltücher, die besonders in Holland mit kunstvoller Hand damastartig gewebt wurden, nur erst in den Häusern der Vornehmen zu finden. Aber das Bürgertum wurde jetzt wohlhabend, es steigerte sich sein Handel von Stadt zu Stadt, von Land zu Land und damit die geistige wie materielle Entwicklung der Städter. Wohlgefallen an reicherer Ausstattung der Wohnung und damit in erster Linie die Dinge darin, musste der Leinwand fortan einen immer wachsenden Gebrauch in den bürgerlichen Familien verschaffen.