Faser Geschichten und Geschichte

Kategorie: Gedichte und Märchen (Seite 2 von 10)

Der gleitende Purpur

„Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!“
Schallt im Münsterchor der Psalm der Knaben.
Kaiser Otto lauscht der Mette
Diener hinter sich mit Spend und Gaben.

Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!
Heute, da die Himmel niederschweben
Wird dem Elend und der Blöße
Mäntel er und warme Röcke geben.

Hundert Bettler stehn erwartend –
Einer hält des Kaisers Knie umfangen
Mit den wundgeriebnen Armen,
dran zerrissner Fesseln Enden hangen.

„Schalk! Was zerrst du mir den Purpur?
Harr und bete! Kennst du mich als Kargen?“
Doch der Bettler hält den Mantel
Fest und jammert: „Kennst du mich, den Argen?

Du Gesalbter und Erlauchter!
Kennst du mich? … Du hast mit mir gelegen,
Mit dem Siechen, mit dem Wunden,
Unter eines Mutterherzens Schlägen.

Aus demselben Wollentuche
Schnitt man uns die Kappen und die Kleider!
Aus demselben Psalmenbuche
Sang das frische Jugendantlitz beider!

Heinz, wo bist du? Heinz, wo bleibst du?
Hast zum Spiele du mich oft gerufen
Durch die Säle, durch die Gänge,
Auf und ab der Wendeltreppe Stufen …

Wehe mir! Da du dich kröntest,
Hat des Neides Natter mich gebissen!
Mit dem Lügengeist im Bunde
Hab ich dieses deutsche Reich zerrissen!

Als den ungetreuen Bruder
Und Verräter hast du mich erfunden!
Du ergrimmtest und du warfest
In die Kerkertiefe mich gebunden …

In der Tiefe meines Kerkers
Hab ich ohne Mantel heut gefroren …
Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!
Heute wird der Welt das Heil geboren!

„Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!“
Hundert Bettler strecken jetzt die Hände:
„Gib uns Mäntel! Gib uns Röcke!
Sei barmherzig! Gib uns deine Spende!“

Eine Spange löst der Kaiser
Sacht. Sein Purpur gleitet, gleitet, gleitet
Über seinen sündgen Bruder,
Und der erste Bettler steht bekleidet …

Eia Weihnacht! Eia Weihnacht!
Jubelt Erd und Himmelreich mit Schallen.
Glorie! Glorie! Friede! Freude!
Und am Menschenkind ein Wohlgefallen!

von

Conrad Ferdinand Meyer

Lied im Advent

Immer ein Lichtlein mehr
im Kranz, den wir gewunden,
dass er leuchte uns sehr
durch die dunklen Stunden.

Zwei und drei und dann vier!
Rund um den Kranz welch ein Schimmer,
und so leuchten auch wir,
und so leuchtet das Zimmer.

Und so leuchtet die Welt
langsam der Weihnacht entgegen.
Und der in Händen sie hält,
weiß um den Segen!

Matthias Claudius

Und wer ein faules Grittchen hat

Und wer ein faules Grittchen hat, Grittchen hat,
kann der nicht lustig sein,
kann der nicht lustig sein?
Sie schläft ja alle Mor gen, Mor – gen,
b i s daß die Sone scheint
und der Hirt die Herd‘ austreibt.

Der Vater aus dem Walde kam, Walde kam,
das Grittchen lag und schlief,
das Grittchen lag und schlief.
„Dich, Grittchen, hol‘ der Teufel, Teufel,
unsere Kuh ist noch im Stall,
und der Hirt ist schon im Wald.“

Das Grittchen aus dem Bette sprang, Bette sprang,
nahm gleich den Topf zur Hand,
nahm gleich den Topf zur Hand.
Sie tat das Kühlein melken, melken
mit der ungewaschnen Hand.
Ist das nicht ’ne wahre Schand‘?

Als sie die Kuh gemolken hat, gemolken hat,
gemolken hat die Kuh,
goß sie noch Wasser zu.
Sie zeigt die Milch dem Vater, Vater:
„Soviel Milch gibt unsre Kuh,
ja, das macht die lange Ruh‘!“

Als sie die Kuh gemolken hat, gemolken hat,
nahm sie den Stock zur Hand,
nahm sie den Stock zur Hand.
Sie tat das Kühlein treiben, treiben,
bis in den grünen Wald,
wo sie dort den Hirten fand.

„Ach Hirte, liebster Hirte mein, Hirte mein,
was hab‘ ich dir getan,
was hab‘ ich dir getan,
daß ich muß alle Morgen, Morgen
treiben mein Kühlein aus
bis wohl in den Wald hinaus?“

„Ei, gäbst du mir die Buttermilch, Buttermilch,
wie andere Mädchen auch,
wie andere Mädchen auch,
so tat‘ ich dir ja pfeifen, pfeifen,
blasen vor deiner Tür:
„Faules Grittchen, komm‘ herfür!“

„Ich gebe dir die Buttermilch, Buttermilch,
den Käse noch dazu,
den Käse noch dazu.
So mußt du alle Morgen, Morgen
blasen vor meinem Haus:
„Schönes Grittchen, komm‘ heraus!“

Volkslied

Das Hirtenfeuer

Dunkel, Dunkel im Moor,
Über der Haide Nacht,
Nur das rieselnde Rohr
Neben der Mühle wacht,
Und an des Rades Speichen
Schwellende Tropfen schleichen.
Unke kauert im Sumpf,
Igel im Grase duckt,
In dem modernden Stumpf
Schlafend die Kröte zuckt,
Und am sandigen Hange
Rollt sich fester die Schlange.
Was glimmt dort hinterm Ginster,
Und bildet lichte Scheiben?
Nun wirft es Funkenflinster,
Die löschend niederstäuben;
Nun wieder alles dunkel –
Ich hör des Stahles Picken,
Ein Knistern, ein Gefunkel –
Und auf die Flammen zücken.
Und Hirtenbuben hocken
Im Kreis‘ umher, sie strecken
Die Hände, Torfes Brocken
Seh ich die Lohe lecken;
Da bricht ein starker Knabe
Aus des Gestrippes Windel,
Und schleifet nach im Trabe
Ein wüst Wacholderbündel.
Er läßt’s am Feuer kippen –
Hei, wie die Buben johlen,
Und mit den Fingern schnippen
Die Funken-Girandolen!
Wie ihre Zipfelmützen
Am Ohre lustig flattern,
Und wie die Nadeln spritzen,
Und wie die Aeste knattern!
Die Flamme sinkt, sie hocken
Auf’s Neu‘ umher im Kreise,
Und wieder fliegen Brocken,
Und wieder schwehlt es leise;
Glührothe Lichter streichen
An Haarbusch und Gesichte,
Und schier Dämonen gleichen
Die kleinen Haidewichte.
Der da, der Unbeschuh’te,
Was streckt er in das Dunkel
Den Arm wie eine Ruthe,
Im Kreise welch‘ Gemunkel?
Sie spähn wie junge Geier
Von ihrer Ginsterschütte:
Hah, noch ein Hirtenfeuer,
Recht an des Dammes Mitte!
Man sieht es eben steigen
Und seine Schimmer breiten,
Den wirren Funkenreigen
Ueber’n Wacholder gleiten;
Die Buben flüstern leise,
Sie räuspern ihre Kehlen,
Und alte Haideweise
Verzittert durch die Schmehlen.
„Helo, heloe!
Heloe, loe!
Komm du auf uns’re Haide,
Wo ich meine Schäflein weide,
Komm, o komm in unser Bruch,
Da gibt’s der Blümelein genug, –
Helo, heloe!“
Die Knaben schweigen, lauschen nach dem Tann,
Und leise durch den Ginster zieht’s heran:
G e g e n s t r o p h e
„Helo, heloe!
Ich sitze auf dem Walle,
Meine Schäflein schlafen alle,
Komm, o komm in unsern Kamp,
Da wächst das Gras wie Brahm so lang! –
Helo, heloe!
Heloe, loe!“

Annette von Droste-Hülshoff